Vorwärts immer, rückwärts nimmer

Im Umgang mit Menschen ereignen sich erstaunliche, überraschende, ganz und gar großartige Dinge – wenn man offen dafür ist.

/die Vorgeschichte

Im späten Frühjahr 2017 erreichten mich zwei Anfragen unterschiedlicher Projektvermittler. Ich erkannte trotz der unterschiedlichen Formulierungen eine Gemeinsamkeit. Nach einiger Investition in Recherche und Aufklärung ergab es sich, dass beide Anfragen den selben Ursprung hatten. In der Korrelation von Sachaufgabe und regionalem Bezug war in beiden Fällen mein Profil das, was dem Interessenten vorgestellt werden sollte. Ein Vermittler lies daraufhin dem anderen den Vortritt und so hatte ich am Tag vor meinem Sommerurlaub das erste Vorstellungsgespräch. Es folgte ein zweites nach dem Urlaub, um den Rahmen festzusetzen. Letztendlich begann ich Mitte Oktober 2017 meine Arbeit.

Mir wurde eine Teamleiterin vorgestellt, die eine Menge mitbrachte, nur keine Kenntnis über die Fachlichkeit der Teamaufgaben. Sie sah es nicht als erforderlich an, die fachlcihe Materie zu beherrschen – das war Aufgabe der Teammitglieder. Sie sorgte stattdessen für den Rahmen, der das Team in die Lage versetzte miteinander Großartiges zu leisten. So sollte es in einer agilen Organisation sein. Nur, die Organisation war noch nicht wirklich agil aufgestellt. Sie strebt danach und hat für die Transformation meine Unterstützung eingekauft.

Im ersten Monat entwickelten wir eine Vorstellung davon wie das gelingen könne und begleiteten bereits mit ersten Schulungsmaßnahmen. Der Boden wurde bereitet, für das, was da kommen sollte.

Die Organisation ist grob beschrieben ein Produktionsbetrieb und die Produktion selbst wurde bereits nach den Prinzipien und mit den Methoden der Lean Production betrieben. Allerdings kam es immer wieder zu Störungen im tatsächlichen Ablauf. Diese Störungen waren keine alltäglichen Ablaufhindernisse wie ausbleibendes Material oder Ausfall einzelner Maschinen. Das gibt es auch. Die eigentlichen Störungen sind aber Umwelteinflüsse, die strukturelle Defizite in der Organisation sichtbar machen. Den Einflüssen müsste mit der Umgestaltung des “Blauen Fluss” begegnet werden, darin war die Organisation aber noch nicht geübt.

Was wir initiiert haben und seither parktizieren ist ein “KVP mittels Scrum”. Die Ungewissheit der Umweltveränderung wird mithilfe von Scrum angelehnten Aktivitäten in handhabbare Gewissheit überführt und die Organisationsanpassung in Sprints umgesetzt. Mit allem Drum und Dran. Userstory, Entwicklungsteam, PO, Agility Master, Test, Dokumentation, Präsentation und Retro.

Parallel dazu ist das Team der besagten Teamleiterin gewachsen und stieß mit der dem Wachstum einhergehenden Selbstständigkeit immer häufiger an die Grenzen des Organisationsrahmens, wie er bisher in diesem Unternehmen gelebt wurde.

/was geschah

Im Januar herrschte große Disharmonie in diesem Team. Es kam alles zusammen. Widerstände der Organisation gegen die beginnenden Transformationsaktivitäten entluden sich indirekt bei den Pionieren. Die Teamleiterin des fraglichen Teams war wegen der Transformationsaktivitäten, Krankheit, Urlaub, Weihnachten, Kundenbetreuung für ca. vier Wochen überhaupt nicht und davor nur im aller unverzichtbarsten Maß für das Team da. Die Probleme häuften sich und Lösungen erschienen dem Team unerreichbar. Zu allem Überfluß stieg dann noch die Arbeitsbelastung über das angekündigte Maß (Forecast) an. Die Stimmung war angespannt.

Durch den intensiven Austausch im Rahmen der Transformationsaktivitäten bestand bereits eine vertrauensvolle, intensive Beziehung zwischen der Teamleiterin und mir. Sie bat mich als Moderator an der Team-Sitzung teilzunehmen. Die Sitzung hatte den Charakter einer Krisensitzung. Es kam viel Verborgenes zum Vorschein. Etliches davon war individuelle Ursache für den jeweiligen Unmut. Die Situation als Ganzes war komplex.

Ein wesentlicher Punkt, der zur Sprache kam war

Es hat uns keiner gefragt, ob wir so arbeiten wollen.

Es passierte einfach. Was fehlte war ein legitimierender Rahmen, der Handlungssicherheit erzeugt. Die Mitglieder des Teams konnten schlichtweg nicht beurteilen, ob das, was sie tun nun richtig oder falsch im Sinne der Organisation ist. Es galt also Sinn zu stiften und eine Team-Verfassung zu erarbeiten.

Es gab eine weitere Sitzung, in der es darum ging, wie sich das wachsende Team in den vorhandenen Räumlichkeiten der Organisation verteilen könne, um seine Aufgaben in Übereinstimmung mit der Sache und den Zielen des Unternehmens bestmöglich zu erledigen.

Am 1. Februar kam es dann zum “Showdown”.
Eine weitere Teamsitzung wurde zur verfassungsgebenden Versammlung.

Wir arbeiteten drei Szenarien für mögliche Organisationsformen für das Team heraus:

  1. Fremdbestimmt, schematisch organisiert
  2. Provisiorisch, in der einzelne Verwaltungs-Aufgaben kommissarisch delegiert werden
  3. Selbstbestimmt, sachorientiert und eigenverantwortlich organisiert

Wir sammelten dazu die Aufgaben, die dieses Team zu erledigen hat:

  • Fachliche Aufgaben (“Prozesse”)
  • Organisatorische Aufgaben (Zeitenerfassung, Personaleinsatzplanung, Fortbildung und dergl.)
  • Begleitende Aufgaben (Coaching; Schiedsrichterfunktion)

Die Entscheidung verdichtete sich auf die Erkenntnisse, dass alle Aufgaben immer anfallen. Die einzige Varianz liegt in den Personen, der Art und Weise der Ausführung und den dafür erforderlichen Investitionen wie Umsetzungsaufwand und Ausbildung, um solche Aufgaben erledigen zu können. WARUM und WAS standen fest, nur das WIE stand zur Entscheidung.

Dieser Konsens war die Grundlage der Betrachtungen, ob man weiterhin in diesem ungeklärten, Konflikte provozierenden Zwischenstadium (2.) verbleiben wollte, in sich in den derzeit vorherrschenden Organisationsstandard (1.) einfügen möchte oder den Schritt in die vollständige Selbstorganisation (3.) wagen will.

Das Team formulierte seine Ansichten und es schwang eine spürbare Tendenz zu 3. (Selbstorganisation) im Raum. Mit meinen Worten ausgedrückt sprachen die Meinungsführer davon, den de facto Status quo (2.) auf einer legalen Grundlage verankern zu wollen – “wir machen das ja ohnehin schon so”. Der aktuelle Zustand gerät aber immer häufiger an die Grenzen des bisher geduldeten. Das erfolgreiche Handeln des Teams gerät immer häufiger in Konflikt mit dem “das war schon immer so” im Rest der Organisation. Das Team selbst kann dem aber sein eigenes “haben wir nie anders gemacht” entgegen setzen. Was soll also gelten?

An dieser Stelle braucht es nun Signale, die eine Richtungsentscheidung erlauben. Wo soll die Reise hingehen?
Das Team sprach seine ausdrückliche Bereitschaft dazu aus, sich mit allen Konsequenzen – inkl. Personalpolitik und Investitionsentscheidungen – selbst organisieren zu wollen. Der Reifegrad, den ich in den Diskussionen erlebt habe, rechtfertigt das Risiko aus meiner Sicht. Auf die kommt es aber hier nicht an. Es gibt einen organisatorischen Rahmen der nicht gesprengt werden darf. Der Rahmen muss auf behutsame Art und Weise den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Und auch hier handelte das Team auf der Basis der Weisheit seiner Mitglieder.

Das Team erkannte auch, welche Konsequenz die Entscheidung für die Rolle des Teamleiters haben wird. Von der bisherigen Personalunion mit der vollumfänglichen Verantwortung für alle Aufgaben innerhalb des Teams, wird sich die Rolle aufsplitten in drei Teilbreiche.

  • Fachliches WAS >> PO
  • Fachliches WIE >> TEAM
  • Geschützer Rahmen für jegliche Teamhandlungen >> Agility Master

Das bedeutet damit für ihre bisherige Teamleiterin, dass sie sich für die Kundenbetreuung und den fachlichen Rahmen (das WAS) noch mehr als bisher schon zurückziehen muss, obwohl sie auch das gut könnte. Die Umsetzung und Weiterentwicklung liegt bereits jetzt schon mehr im Team als bei der Teamleiterin. Und die Rolle des Agility Master hat sich bereits ausgefüllt, noch bevor dafür der äußere Rahmen durch die offizielle Transformationsbewegung geschaffen wurde.

Die Aussage, die letztlich den Konsens der Gruppe fand war:

Wir sind bereit dazu, die Lasten der Selbstorganisation zu tragen, um mehr Wirkung für das Unternehmen zu erzielen, wenn man es uns im Gegenzug ermöglicht.

Das Team bittet also die Organisation auf der Basis des gegenseitigen Vertrauens darum, mehr Kompetenzen eingeräumt zu bekommen, um damit dem Unternehmen im Gegenzug einen höheren, eigenen Wirkungsgrad zu ermöglichen. Die Aufgabe der Teamleiterin in der Rolle des Agility Masters wäre dann, die bisherigen organisatirischen Hemmnisse als Impediment zu betrachten und aus dem Weg zu räumen, wo es möglich ist und für Akzeptanz zu sorgen, wo es – zumindest im Moment – nicht möglich ist, das Hemmnis zu beseitigen.

Kann man dazu “nein” sagen?

Wir werden es sehen.

Obwohl die Entscheidung zur offenen Abstimmung reif war und das Ergbnis am Ende dieser Sitzung vollkommen klar erschien, haben die Teamleiterin und ich im unmittelbaren Vorfeld des Termins miteinander abgestimmt, nur die Grundlagen für die Entscheidung zu legen.

Aufgrund der weitreichenden Konsequenzen für das Unternehmen, das Team und jeden einzelnen Mitarbeiter wollten wir nichts übereilen.

If You want it fast, go slow.

Wir lassen die Eindrücke also erst einmal sacken, verdauen, in den Folgetagen wiederkauen und ein Wochenende dazwischen liegen.

Auch die Gegenseite (Geschäftsführung) muss erst darauf vorbereitet werden, was da auf sie zukommen wird. So etwas, hat es in diesem Unternehmen noch nie gegeben. Und nach meiner Wahrnehmung auch ganz selten nur in anderen Unternehmen. Wenn, dann in einer schwerwiegenden Krisensituation.

Das besondere hier: es gibt keine schwerwiegende Krise. Nur strukturelle Unzulänglichkeiten. Man kommt klar.
Alles läuft in erträglichen und halbwegs beherrschbaren Bahnen – nur eben noch nicht so gut, wie es laufen könnte.

Weiterentwicklung aus einer stabilen, wirtschaftlichen Ausgangsposition heraus – mit Erforderlichkeit aber ohne Not.

/die Ruhe im Sturm

Menschen tun ausschließlich das, wovon sie überzeugt sind. Niemand tut das, von dem er oder sie weiß, dass es falsch ist.

Menschen tun etwas, um herauszufinden ob es richtig oder falsch ist. Oder weil ein bestimmter Impuls einen schwächeren Glaubenssatz überlagert. Oder weil eine Erfahrung schwerer wiegt als ein nicht-verinnerlichtes Dogma. Jede Handlung ist die Folge bisherigen Erfolgs oder Mißerfolgs. Die Schwierigkeit: wir wissen vor dem sichtbaren Handlungsergebnis nicht, welche Variantenausprägung im vorliegenden Fall zum Tragen kommen wird. Deswegen geben sich Menschen den Rahmen von Kultur. Das soll Verläßlichkeit und Gewissheit an Stellen erzeugen, an denen andernfalls Ungewissheit und wenig Vorhersagbarkeit vorherrschen. Wir wollen die Kräfte, die in Zweifeln und Absichern gebunden werden zur eigentlichen Wertschöpfung einsetzen. Deshalb ist ein wertschätzender Umgang miteiander am Ende immer erfolgreicher als eine Kultur der Angst und Gefahr, die durch Absicherungsmaßnahmen begleitet wird und die ihrerseits wiederum Kräfte binden, die anderweitig nutzbringender aufgewandt werden können.

Je wertschätzender und Verständnis schaffender die Handlungsumgebung, umso erfolgreicher das Handeln selbst.
Viel mehr gibt es dazu nicht zu verstehen.

Es ist allerdings ein langer Weg, jeden persönlich mitgeschleppten Ballast darauf zu überprüfen, ob sich der Erhalt insgesamt oder nur im konkreten Zusammenhang lohnt oder ob es Zeit ist, loszulassen. Das ist der eigentliche Aufwand des Lernens, den so viele scheuen.

Es ist effizienter untätig zu sein – solange bis die Wucht der Bewegung anderer einen selbst mitreißt oder umwirft und überrollt.
Diese Wucht ist die Folge exponentiellen Wachstums und die Ausbreitung der damit verbundenen Energiefreisetzung.
Von außen mag es wie eine Welle erscheinen. Im Zentrum dieser Bewegung ist aber alles ganz ruhig.

Man muss wissen, wo man steht und welche Handlung dadurch angezeigt ist.

Der Impulsgeber steht im Zentrum der Bewegung – der Resonanzraum bestimmt die Wirkung

/waswenn …

Die eigene Einstellung zum Wahrgenommenen ist der wesentliche Einflussfaktor für das darauffolgende Handeln.

  • Was, wenn es seine bessere Möglichkeit gäbe als die, die Dir einfällt?
  • Was, wenn andere einen klareren Blick auf die Situation haben als Du selbst?
  • Was, wenn es jemanden gibt, dem etwas einfällt, wovon Du noch nie gehört hast?

/die Würze

Je mehr man will, umso weniger bekommt man.
Das ist das Paradox der Organisationsentwicklung.

In der “alten Ordnung” – HORG genannt und symbolisiert durch die Pyramide – wird viel Energie darauf verwand, die Ordnung an sich aufrecht zu erhalten.

Hier kam eine die machte es anders und die andere lies es zu. Dadurch wurde nicht mehr getan, was getan werden sollte, sondern das getan, was erforderlich war. Und dadurch fügte sich die Ordnung nach der fachlichen Notwendigkeit ganz natürlich. Das System begann, seine Form nach der Natur der Sache auszuprägen, anstatt ständig eine widernatürliche, sachfremde Form anzunehmen.
Die widernatürliche Form war das Abbild einer Vorstellung wie es sein sollte, weil es so gelehrt wurde und man nichts anderes, nichts besseres kannte.

Das Unbehagen sowohl beim Aufzwingen der Form als auch dem Einnehmen der Form ist ein wertvoller Indikator dafür, dass “etwas nicht stimmt”. Diesem Ausdruck von Unbehagen muss dringend nachgegangen werden. Wird dieses Gefühl unterdrückt, hat das immer schwerer wiegende Folgen in der Zukunft. Je früher die Klärung einsetzt, umso geringer der Energieverlust in Bezug auf die angestrebte Entfaltung der Wirkung. Viel Unbehagen stellt sich im Verlauf der Klärung wie ein Fehlalarm dar. Das führt zu der weit verbreiteten Versuchung anzunehmen, dass man selbst es “immer” besser wisse. Das wäre ein folgenschwerer Irrtum. Im Verlauf der Klärung wird – oft unbemerkt – ein gegenseitiges Verständnis vermittelt – keine Meinung ausgetauscht. Wenn dann zusätzlich eine vielleicht nur kleine Handlungsänderung aus der Klärung erwächst, diese Änderung aber nicht wahrgenommen wird, dann könnte man annehmen, es sei nichts geschehen. Die aus der Klärung folgende Erleichterung fühlt sich im Vergleich zu der vorherigen “Beschwer” wie “nichts” an. Nur die aufmerksame Beobachtung des Weges zwischen vorher und nachher gibt Aufschluss darüber, was geschehen ist und welche Folgen woher rühren. Manche nennen das auch Achtsamkeit.

/und die Moral von der Geschicht

Je mehr Du willst, desto weniger bekommst Du.
Dein “eigener” Erfolg ist immer nur die Folge, die andere für Dich zulassen.

Je mehr “Erfolg” Du hast, je mehr vereinzelst DU aus der Masse. Das ist der perfide Mechanismus der Evolution, um Veränderungen auf ihre Überlebenstauglichkeit hin zu testen. Je mehr Anschluß eine Veränderung findet, desto mehr ist das einschlagen einer Richtung Fortschritt anstatt krankhafte Abweichung. Indem die einzelne Person Anschluß sucht, lässt sie die Beeinflussung durch andere zu, um ihrerseits die Chance zur Beeinflussung wahrzunehmen.

Am Ende liegt die gemeinsame Wahrheit zwischen den Ausgangspositionen – nicht notwendigerweise in der Mitte.

/etc

Was auch immer ich sonst noch für eine Beachtung als wertvoll erachte, teile ich über Blogbeiträge hier und anderswo. Den besten Überblick über alle Fragemente vermittelt mein twitter-Kanal.

/Inspiratoren

/weiterführende Quellen

/lebewohl

Lebe lang, in Frieden und Wohlstand.
Mögen sich alle Bedürfnisse in Realität auflösen.

/berühmteletzteworte

Verläuft Dein Leben im Kreis?

Das Leben verläuft in Kreisläufen. Manche sind größer, andere kleiner.
An Ihrem Ende findet sich kein Ende, sondern nur ein neuer Anfang.

Sprich zu denen, die es angeht. Teile, was Dir wichtig ist.

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