Kommt da noch was?
Nach dem großartigen Barcamp #3 hatte ich das agile Jahr 2018 eigentlich schon als abgeschlossen betrachtet. Ich wurde bereits reich beschenkt. Mehr musste es gar nicht sein.
Und dann kam da die Einladung zu dieser Buchvorstellung.
Abgesehen davon, dass jedes Meetup der agiLEipzig Community ohnehin bereits eine Bereicherung mit sich bringt, weckte dieses Format bei mir noch zusätzliches Interesse.
/Prolog
Im Frühjahr 2017 entschlossen sich der Company Pirate (Tobias Leisgang) und ich, gemeinsam ein Buch zu schreiben. Wir haben in anderem Zusammenhang miteinander herausgefunden, dass bei der Produktentwicklung ganz andere Mechanismen wichtig sind, als allgemein berichtet wird. Jenseits der ganzen hippen Projektmanagement-Methodik lokalisierten wir das Problem außerhalb dessen, womit sich Entwicklungs-Teams oder ganz allgemein “Produktivkräfte” üblicherweise beschäftigen.
Um genau zu sein, das von uns jeweils vorgefundene Umfeld verhindert allzu oft, dass Innovation überhaupt entstehen kann. Jede Initiative, jeder Impuls, jede Inspiration, die unserer Erfahrung nach erforderlich ist, um Großartiges entstehen zu lassen, werden bereits im Vorfeld bekämpft, erstickt und strukturell unterbunden.
Zunächst nahmen wir an, es läge an der jeweiligen Unerfahrenheit von Organisationen in Bezug auf Möglichkeiten, die Technik heutzutage bietet. Und so wollten wir ein Sachbuch schreiben, wie man technische Möglichkeiten nutzen kann, um an verteilten Standorten dennoch wirksam miteinander zu interagieren.
Wir begannen mit dem Begriff “remote Co-Working”.
Zunächst wollten wir uns selbst Klarheit über den Begriff verschaffen und mussten feststellen, dass “Co-Working”, “Cooperation” und “Collaboration” wild durcheinander benutzt wurde, ohne dass das Gros der Verwender diese Begriffe erklären, definieren und dadurch voneinander abgrenzen konnten. Also machten wir uns an diese Arbeit.
Wir fanden jedoch keine Struktur in der Darstellung, die uns überzeugen konnte.
Und so begannen wir uns darauf zu besinnen, wie wir an diesen Punkt gelangt sind. Wir erschufen unseren Protagonisten “Frank”, der unsere Reise in einer fiktiven Unternehmens-Umgebung nachvollziehen sollte.
Wir konfrontieren Frank mit Situationen, wie sie uns in unserem Alltag häufig begegnen. Zugegeben, der Einstieg ist etwas krasser als er für uns jemals war. Das, was Frank da in der ersten Szene miterlebt, kennen wir aber auch. Allerdings etwas subtiler. Um es originalgetreu darzustellen, hätten erst einmal mehrere Kapitel seicht dahinplätschern lassen müssen, bevor es zum ersten großen Knall gekommen wäre. Dazu war uns unsere Schreibenergie und die Lebenszeit der imaginierten Leser zu schade. Und so musste Franks namenloser Kollege für “Big Jims” erste Machtdemonstration herhalten.
Über die folgenden Kapitel erschaffen wir eine Arbeitsumgebung, die vielen unserer Leser bekannt vorkommt. Je nachdem, in welcher Rolle sie agieren, erkennen sie sich in der einen oder anderen Figur wieder. Das ist gewollt und von uns bewusst so arrangiert. Die Charaktere sind Zusammenschnitte aus unseren Erfahrungen mit vielen unserer Wegbegleiter. Einige davon nennen wir im Anhang als die “Frankheads”, die Köpfe hinter Frank.
Der Vorteil für den Leser besteht darin, dass er mit uns hinter Kulissen schauen kann, zu denen er selbst in seiner Rolle entweder keinen Zutritt erhält oder sich diesen Blick selbst nicht zugesteht. Viele Produktivkräfte “wollen” gar nicht wissen, was “das Management” tut. Umgekehrt sind viele “Manager” so gefangen in ihrer “Berichtsstruktur”, das ihnen schlicht die Möglichkeit fehlt, sich mit dem zu befassen, was ihre Produktivkräfte eigentlich benötigen. Und so füllt die eine oder andere “knackige Ansage” das Vakuum, das durch “saubere Strukturen” und keimfreien Datenaustausch erschaffen wird.
Mit diesen Voraussetzungen freute ich mich also darauf einen Autor zu erleben, der genau so wie wir auf Leanpub angefangen hat. Irgendwann muss Klaus wohl entschieden haben, dass es nicht seine Plattform ist. Das Buch, das am 3. Dezember 2018 in Wien als druckfrisch und somit fertig veröffentlicht wurde, steht auf Leanpub noch bei 20% mit der letzten Aktualisierung vom 30. August 2018.
Der Hauptteil des Abends war unterteilt in einen Vortrag und ein Fishbowl bei dem das Auditorium Fragen stellen konnte.
/Vortrag
An dem Slidedeck für diesen Abends arbeitet Klaus seit 8 Jahren – work in progress.
Zumindest sagte er das so zur Einleitung. Den Aufhänger bietet ihm ein Mandat bei einem Auftraggeber. Dem Unternehmen fehlen weder der Wille noch die Mittel.
Und dennoch, die gewünschte Wirkung blieb überraschenderweise aus.
Sollte viel doch nicht so viel helfen?
Es stellte sich heraus, dass die ach so agil arbeitenden Teams an etwas litten, das außerhalb ihres eigenen Einflussbereichs lag.
Es bestanden Abhängigkeiten.
Und es zeigte sich, dass es einen Engpass gab, den niemand bisher bemerkt hatte:
So sehr sich ein hoch begabter, erfahrener und überaus bemühter Entwickler auch anstrengen mag, er wird kein Problem lösen können, das ihm über eine Abhängigkeit zu einem anderen Team geschaffen wird. Und dieses Problem wiederum wurde vor wenigen Monaten von einer “simplen” Entscheidung der Geschäftsleitung geschaffen.
Höchst wahrscheinlich sogar unbeabsichtigt.
Wenn alles so bleibt wie es ist, wird er warten müssen. Entweder, bis das externe Team liefert oder bis die Umpriorisierung des Projektportfolios für das kommende Jahr diesen Konflikt löst.
Wenn keine bidirektionale Interaktion zwischen den Beteiligten erfolgt, dann bleibt es bei Verschiebedynamik auf der Arbeitsebene anstatt wirklich agiler Mehrwerterzeugung. Manche halten dieses Vorgehen sogar für “Kooperation”.
Ich kenne diese Arbeitsweise unter der Bezeichnung “über den Zaun werfen”.
Das geht sowohl vertikal als auch horizontal. Es muss nicht immer Wasserfall sein …
Den wirklichen Durchbruch brachten mehrere, miteinander zusammen hängende Maßnahmen.
Einerseits arbeiteten mehrere Teams an einem Produkt.
Egal, wie schnell Team 1 die Zahlen liefert, es hilft nichts, wenn sie den Adressaten nie erreichen. Wenn nämlich das andere Team ein ‚@’ tippen will und der Spezialist für ALT [Microsoft: ALT GR] gerade in Düsseldorf weilt und deshalb unabkömmlich ist.
Und wenn dann noch der gesamten Entwicklungsmannschaft mehrere Produkte zur Entwicklung anvertraut werden?
Wo und wann es zu einem Konflikt kommen wird, ist bei einem solchen Vorgehen nicht mehr vorhersagbar. Irgendwann kracht’s halt. Ist normal. Muss es das sein?
Und so wurde ein strategisches Portfolio-Management eingeführt, um Abhängigkeiten zwischen Produkten zu identifizieren und Entscheidungen auf übergeordneter Ebene treffen zu können.
Die Priorisierung von Liefergegenständen liegt regelmäßig außerhalb des Verantwortungsbereichs einzelner Teams. Und so propagiert Klaus ein Modell, das so genannte ‚Flightlevels’ vorsieht.
Je höher der Flug, desto besser der Überblick.
Je näher das Objekt, umso detailreicher der Anblick.
Jede Ebene hat ihre Berechtigung, weil sie einen anderen Beitrag zum Wertstrom liefert.
Jeder Beitrag ist für das Ganze wichtig.
Und deshalb sagt Klaus
Business Agility is no Team Sport. It is a Corporate Sport! via @klausleopold Click To Tweet/Fishbowl
Während des Vortrags gab es bereits Interaktion zwischen Klaus und dem Publikum. Ich war gespannt, was sich aus dem Fishbowl ergeben würde.
Ich kann mich noch an das Meetup mit Boris Gloger zu Scrum 3.0 erinnern.
Anders als Boris hatte Klaus nicht viel zu reden. Amüsanterweise erzählten die Fragenden überwiegend von sich, ihren Umgebungen und Problemen, während Klaus die Rolle des Zuhörers einnahm. Manchmal nickte er. Manchmal sagte er einen Satz oder auch mal zwei. Die Geschichten waren alle recht ähnlich.
“Ich sitze hier ‚unten’ und mir hört dort ‚oben’ keiner zu.”
Ein überspitzter Beitrag von Alexander Krause brachte es auf den Punkt. Unabhängig davon, ob jemand als Freelancer engagiert oder fest angestellt wird, das Umfeld des Entwicklungsteams hat oftmals eine sehr eingeschränkte Vorstellung vom Aufgabenfeld des “Scrum Masters”. Spätestens wenn das Team in die Performance-Phase gelangt ist, werden viele Scrum Master zwischen Planning und Review zum Feelgood-Manager. Immer dann, wenn es darum geht, die externen Impediments wirklich in Angriff zu nehmen, findet man sich schnell vor der verschlossenen Tür wieder. Wenn es um die größeren Zusammenhänge geht, wird allzu oft sogar das Gespräch verweigert. Angeblich ginge einen das als Scrum Master nichts an. Man solle doch bitteschön dafür sorgen, dass das Team “ordentlich” arbeitet und eine saubere Umgebung dafür zur Verfügung hat. Am Ende wechsle man dann für horrendes Geld die Klorollen, damit es allen richtig gut geht.
Eine vergleichbare Situation hat mich einst den Job gekostet. Das beobachtete Phänomen nenne ich seither den “Out of Story Error”. Als ich auf der bilateralen Ebene nicht weiter kam, habe ich mich an die Projektleitung gewandt. Mein Ansprechpartner dem Vorstand direkt verantwortlich. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt 18 Feature-Teams, die überwiegend aus “Externen” zusammengestellt waren. Auch Scrum Master und POs waren extern besetzt. Es gab zwei handvoll “Interne”, die in der Projektorganisation der zu diesem Zeitpunkt etwa 200 Menschen das “mittlere Management” und eben die Projektleitung stellten. Ich wandte mich Hilfe suchend an die oberste Führungsebene, weil mein Backlog zwar randvoll war, wir aber nur Arbeit für etwa zwei Tage hatten, die wir selbst erledigen konnten. Nach meinem Wertesystem war es nicht akzeptabel, für’s “Rumsitzen und Warten” bezahlt zu werden. Ich nahm damals an, in dieser Einstellung eine gemeinsame Basis mit der Projektleitung zu haben.
Zwei Sprints zuvor begannen wir, “unsere Leute” an “fremde” Teams auszuleihen, damit sie dort die Grundlage für unsere Arbeit schaffen können. Ich konnte bereits absehen, dass das für die kommenden Sprints nicht mehr ausreichen wird.
3 Tage später wurde mir das Ende meiner Beauftragung ausgesprochen.
Vier Jahre später erfuhr ich, dass sich die Blockadesituation nach meinem Abgang noch verschärft hat. Die Projektmannschaft schwoll auf 400 Menschen an. Die strukturellen Probleme blieben. Mitunter waren mehrere Teams immer wieder und tagelang unbeschäftigt. Was hätten sie alles erreichen können?
/Erkenntnis
An diesem Abend hat Klaus mit seinem Vortrag mein Bewusstsein erweitert.
Der agile Dreisprung: Priorisieren | Koordinieren | Liefern via @klausleopold Click To TweetDiese einfache Formel erleichtert mir die Orientierung und hat bereits in den Tagen nach der Veranstaltung Wirkung gezeigt. Es gelang mir, Gesprächspartner noch zielgerichteter zu erreichen. Unter anderem konnte eine Coachee von mir dadurch die strategische Roadmap ihrer agilen Transformation einfordern. Wir hatten immer angenommen, es müsse eine solche geben, auch wenn sie uns gegenüber nie thematisiert wurde. Es hat etwa 5 Werktage gedauert, die Geschäftsleitung dazu zu bewegen, die zuvor unbekannte Roadmap mit der gesamten Belegschaft zu teilen und die Betroffenen an der Entscheidungsfindung beteiligen zu wollen. Ob es geschehen wird, weiß ich noch nicht. Der Termin findet erst dieser Tage statt.
Darüber hinaus hat mich das Beispiel des “Liebesbriefs” sehr inspiriert. Ich finde es großartig, weil es das Problemfeld des ‚Ghostwriting in der Produktentwicklung’ und der Informationsasymetrie in der Marktwirtschaft so wunderbar symbolisiert.
Diejenigen, die es verstehen, sich auszudrücken – die Entwickler – sind nur wenige im Vergleich zu denjenigen, die einen tatsächlichen Bedarf daran haben. Viele Menschen, die vor der Herausforderung stehen, ein ganz reales Problem zu lösen, sind nur selten in der Lage, es überhaupt zu beschreiben. Wie pubertierende Teenager versuchen sie sich dann über Beispiele mitzuteilen – über Mixtapes und Liebesbriefe, die sie aus verfügbaren Zitaten zusammenstückeln.
Erfahrene Vertriebler sagen es so:
Der Kunde weiß erst was er will, wenn er es sieht.
Und wie drückt sich der Kunde in spe dann aus?
Beispielsweise, indem er oder sie beim Friseur auf Bilder zeigt, um so auszusehen wie …
/Medien
Die Grafiken stammen von Klaus Leopold. Er hat mir den Vortrag zur Verfügung gestellt, damit ich einzelne Folien daraus für diesen Artikel verwenden kann.
Das Youtube-Video stammt aus dem Kanal des Künstlers. Ich gehe daher von einer rechtmäßigen Benutzung aus.
/lebewohl
Lebe lang, in Frieden und Wohlstand.
Mögen sich alle Bedürfnisse in Realität auflösen.
/berühmteletzteworte
Verläuft Dein Leben im Kreis?
Das Leben verläuft in Kreisläufen. Manche sind größer, andere kleiner.
An Ihrem Ende findet sich kein Ende – nur ein neuer Anfang.
Sprich zu denen, die es angeht. Teile, was Dir wichtig ist.
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